Mancher Chorleiter kann alles. Wunderbar Klavier spielen, grandios arrangieren und ist zudem noch ein guter Organisator, Sänger und Stimmpädagoge. Was aber ist zu tun, wenn ein paar der angesprochenen Fähigkeiten fehlen?
So wie bei mir. Ich kann das nicht alles. Fürs Arrangieren fehlt mir leider die Zeit. Mich selbst zu organisieren, reicht mir schon völlig, und ich bin zwar keine miserable, aber auch keine besonders gute Pianistin.
Vier Beispiele für Chorleitung im Team
Immer häufiger höre ich z.B. von Chören, „die auch mal jemanden für die Stimmbildung einladen“ oder ihre Chorwochenenden durch die Einladung von Gastdozenten auflockern. Auch ich werde gerne für solche Gelegenheiten gebucht. Dieses gelegentliche „Bestellen einer Stimmbildnerin o.ä.“ ist ein mögliches Modell, wie Chorleitung im Team aussehen kann. Ob und unter welchen Bedingungen das sinnvoll ist, möchte ich in diesem Artikel beleuchten und vier kleine Geschichten dazu erzählen.
Das Dream Team
Als ich mit meinem Sohn (2 ½ Jahre) schwanger war, brauchte ich dringend jemanden, der in meiner Babypause meinen gemischten Laienchor übernimmt.
Und ich hatte großes Glück. Ein junger Mann, der an der gleichen Hochschule studiert hatte wie ich, sah meinen Aushang am schwarzen Brett. Er hatte zwar noch keine Chorleitungserfahrung außerhalb des Studiums, war aber bereit sich zu engagieren.
Wir waren uns auf den ersten Blick sympathisch, haben aber genug inneren Abstand, um konkret und produktiv miteinander zu arbeiten. Wir sind offen für Vorschläge und Ideen des anderen und schätzen uns. Mein Mitchorleiter – nennen wir ihn mal Sascha – ist ein guter Pianist und hat ein wunderbares Ohr für musikalische Zusammenhänge und ihre Gestaltung. Er weiß den Chor sowohl klanglich als auch menschlich zusammen zu bringen und zu motivieren, ist äußerst geduldig und sehr ermutigend. Mein Schwerpunkt ist die Stimmarbeit und ich sorge dafür, dass der Chorklang immer beweglicher und intensiver wird. Ich arbeite an Sounds und Phrasierung und sage am Ende immer: „Das wird richtig toll klingen, wenn demnächst Sascha dazu Klavier spielt.“ Mittlerweile wechseln wir uns regelmäßig ab und proben immer auch mal wieder zu zweit. Jeder von uns erarbeitet eigene Stücke und wenn diese weitestgehend stehen, zeigen wir sie uns gegenseitig und fragen den Anderen um Rat. So ergänzen wir uns perfekt und die Verantwortung ist auf zwei Schultern verteilt. Teamchorleitung wie im Bilderbuch.
Team gescheitert
Bevor Sascha zu meinem Chor stieß, hatte ich gerade eine gescheiterte Teamchorleitung hinter mir. Die Chemie stimmte nicht.
Statt Verlässlichkeit gab es immer wieder Unzuverlässigkeit und Missverständnisse, statt gegenseitigem Verständnis standen plötzlich Neid und Kompetenzgerangel im Raum. Der Versuch, sich zu ergänzen, wurde als gegenseitiges Einmischen gewertet, der Wunsch des Einen kam nicht mit der Arbeitweise des Anderen überein. Die Verantwortungen waren nicht klar abgesteckt und irgendwann stand ich plötzlich alleine da mit dem Chor. Schade.
Team ohne Team
Eine durchaus interessante Teamerfahrung durfte ich bei einem anderen ambitionierten Laienchor machen, dessen Chorleiter mich übers Internet gefunden hatte und für vierzehntägige Stimmbildung buchte. Leider interessierte sich der Kollege überhaupt nicht für meine Arbeit.
Dass ich bei meiner ersten Probeneinheit zunächst mal das Einsing- und Aufwärmprogramm und einen Teil der Probe miterleben wollte, sorgte gleich am Anfang für Irritation und Unverständnis. In Kleingruppen arbeitete ich an stimmbildnerischen Grundlagen und gelegentlich nannte mir der Chorleiter vorher die Stelle eines Stückes, die wir explizit üben sollten. Nach je 20 Minuten gingen die Sänger wieder zurück in die Probe und machten alles wie zuvor. In meinen Stimmbildungseinheiten übten wir Singen in Bewegung und Klangentfaltung über Körperarbeit, den Rest der Chorprobe saßen die Chormitglieder mit ihren Noten auf ihren Stühlen.
In einer Besprechung mit dem Chorleiter und -vorstand ließ man mich wissen, dass der Chor sehr viel Freude an meinen Stimmbildungseinheiten hätte, ich mich aber doch auf das Wesentliche konzentrieren sollte. Als kleinen Anhaltspunkt schickte man mir diverse Links zu Youtube-Videos, auf denen jemand auf genau die Art Stimmbildung betrieb, die ich so gut es geht zu vermeiden versuche. Über drei Ecken erfuhr ich, dass nun auch noch eine zweite Stimmbildnerin ab und an kam. Irgendwann wurde ich nicht mehr angerufen.
Einladung ins Team
Die vierte Team-Geschichte begann während meines Studiums. Ich war von einem Kommilitonen – nennen wir ihn Daniel – eingeladen worden, bei einem Probensamstag seines Studentenchores mein Spezialthema „Atemtypen und Stimme“ jeweils in Kleingruppen vorzustellen.
Am Nachmittag kamen wir wieder zu einer Gesamtprobe zusammen. Ich schaute ein Weilchen zu und konnte so einen guten Einblick in Daniels Arbeitsweise gewinnen. Irgendwann fragte er mich an einer kniffligen Stelle um Rat und gab mir die Gelegenheit, das, was wir in den Kleingruppen gelernt hatten, mit dem gesamten Chor konkret am Stück auszuprobieren.
Das Klangergebnis war selbst für mich überraschend und dieser durchaus einprägsame Moment – Daniels verdutztes Gesicht werde ich nie vergessen – erscheint mir noch heute als Basis für unsere gelungene Chorleiterzusammenarbeit. Von Daniels jetzigem Chor werde ich regelmäßig zum Chorwochenende oder auf der Probenzielgerade zum Konzert eingeladen und jedes Mal voll Neugier und Tatendrang empfangen. Die Ideen, die ich in den Chor einbringe, werden vom Chorleiter aufgegriffen – auch wenn er nicht bei allem dabei ist, was ich mache – und er ermuntert seine SängerInnen immer wieder, diese auch in Eigenverantwortung umzusetzen.
Der Chor wächst stetig in seiner Strahl- und Ausdruckskraft, die Zusammenarbeit unter uns Chorleitern macht riesig Spaß und es ist äußerst beglückend, dass meine Arbeit so gewertschätzt wird.
Die Elemente des Gelingens
Was braucht es nun, damit eine Zusammenarbeit von verschiedenen Personen in der künstlerischen Leitung eines Chores gelingen kann? Einige Elemente sind sicher in den oben beschriebenen Geschichten deutlich geworden. Das Wichtigste möchte ich nochmal kurz und knapp zusammenfassen.
Vertrauen
Egal ob es sich um eine echte Co-Chorleiterschaft, mehr oder weniger regelmäßige Stimmildung oder punktuelle Zusammenarbeite handelt, das Wichtigste für mich ist gegenseitiges Vertrauen. Vertrauen in die jeweilige Arbeitsweise, den Umgang mit dem Chor und auch Vertrauen darin, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen.
Wissen, was der andere macht
Gegenseitige Wertschätzung dieser Art kann am Besten gelingen, wenn man weiß, was der andere macht. Dazu gehört für mich das gegenseitige Anschauen und Miterleben von Chorproben. Auch der verbale Austausch über die Inhalte, um die es geht, sind elementar wichtig.
Austausch
Wo liegen die Leidenschaften des Anderen, was macht ihm besonders viel Freude, was ist ihm besonders wichtig? Gelingt dieser Austausch, so kann vermieden werden, dass man sich gegenseitig „in die Parade grätscht“, aneinander vorbei arbeitet oder Widersprüchlichkeiten auftauchen, die unnötigerweise zu Unsicherheiten bei den Chormitgliedern führen. Gemeinsame Ziele und Wünsche sollten diskutiert werden. Was ist mir wichtig, was ist unser gemeinsamer roter Faden, der dem Chor eine Orientierung gibt? Wo erleben wir unabhängig voneinander oder auch gleichzeitig Freude beim gemeinsamen Arbeiten? Welche Chorergebnisse machen uns beide glücklich? Was ist uns eher nicht so wichtig?
Klare Absprachen
Neben diesem offenen Austausch, der sich manchmal vielleicht gar nicht in einer konkreten Umsetzung sondern eher in der Grundatmosphäre der Zusammenarbeit äußert, braucht es in manchen Dingen auch ganz klare Absprachen. Wer ist wo für was verantwortlich? Wer probt welche Stücke? Wer trifft eine endgültige Entscheidung? Wer probt wie oft und wann wird zusammen geprobt?
Kommunikationsbereitschaft
Insgesamt braucht es Mut und eine große Bereitschaft zur Kommunikation. Auch oder gerade wenn die Meinungen divers sind, lohnt es sich das Gespräch zu suchen. Unausgesprochene Irritationen sind wie in allen Bereichen des Lebens hinderlich und führen weg vom Vertrauen, das es als unbedingte Grundlage für die Zusammenarbeit braucht.
Es geht um den Chor!
Immer muss klar sein, dass es weder um persönliche Eitelkeiten oder Kompetenzgerangel noch um gegenseitige Kontrolle, sondern um die bestmögliche Förderung des Chores geht. Das Potenzial der Gruppe voll auszuschöpfen – jeder Leiter mit den Mitteln, die ihn ausmachen und mit denen er sich am Wohlsten fühlt – ist am Ende das, was alle zufrieden macht.
Und an diesem Punkt ist eine gelungene Teamarbeit dem Chorleiter-Einzelkämpfer vielleicht sogar überlegen.
Denn Chorleiter können viel. Die allerwenigsten aber wohl alles.
Liebe Anna,
ich lese Deine Artikel immer so gerne.
Und ja: genauso isses!
Ich hoffe, dass Du Mut zur konstruktiven Zusammenarbeit bei ganz vielen Chorleitern hast wecken können.
Schön, dass Du immer wieder bei uns bist!
Kathrin
Sehr geehrte Frau Stijohann,
mit Interesse las ich gerade diesen Beitrag zur teamleitung, da unser Chor (Laienchor Kirche), nachdem unser Hauptdirigent aufgehört hat, nun von 4 (!) gleichermaßen verantwortlichen Personen, die auch alle selbst im Chor singen/gesungen haben, geleitet werden soll. Es gibt keine Verantwortlichkeiten (alle sind für alles verantwortlich), keine Themenabgrenzungen, keine Schwerpunkte, so wie ich es in dieser Konstellation für zwingend erforderlich halte. Einen roten Faden habe ich bisher nicht erkennen können. Als Organist und Sänger sehe ich hier echte Probleme auf den Chor zukommen. Würden Sie mir zustimmen oder gibt es auch für solche Fälle sinnvolle Lösungen?
Freundlicher Gruß
M. Schäfer
Lieber Herr Schäfer,
ob so ein Projekt mit vier verantwortlichen Individuen gelingen kann, hängt wohl stark von der Gruppe ab. Ich kann mir vorstellen, dass es klappt, wenn die vier sich wirklich gut kennen und fleißig im Gespräch sind und bleiben. Sonst könnte es schwierig werden. Ich empfehle kläre Absprachen. Wer probt wann was? Oder sogar eine klare Aufteilung nach Stücken, so dass jeder nicht für alles verantwortlich ist. Sprechen Sie das Thema ruhig an. Wenn außer Ihnen niemand im Chor bedenken hat, haben Sie zumindest die Sensibilität geschärft und das Eis für ein offenes Gespräch ist bereits gebrochen. Wenn jeder der vier vielleicht mal benennt, wo er eigene Stärken und auch seine Schwächen sieht, ergeben sich evtl schon Zuständigkeitsbereiche. Dann ist es auch leichter, die Kollegen um Rat oder Hilfe zu bitten, wenn man an seine Grenzen stößt. Ich wünsche Ihrem Projekt viel Glück und vor allem Mut fleißig miteinander zu kommunizieren. Gruß Anna Stijohann
Liebe Frau Stijohann,
ja, meine Bitte an die Vier zu überlegen, sich doch die Aufgaben ein wenig sinnvoll aufzuteilen, Themen zuzuordnen usw. ist schon daneben gegangen, sie machen alles gemeinsam… Als Organist und auch Chorbegleiter wird das wohl interessant werden, ein Stück mit vier verschiedene Dirigiereigenschaften/-qualitäten am Instrument sinnvoll umzusetzen. Ich bin gespannt. Vielen Dank für Ihre Hinweise.
Freundlicher Gruß
Michael Schäfer
Hallo und vielen Dank für den interessanten Artikel. Ein Bekannter der im Klavierverkauf arbeitet, erzählt mir von ähnlichen Situationen bei anderen Chören. Es hilft zwar nicht zeigt aber dass das Kompetenzgerangel eine ganz normale sozial Situation aus unserem Alltag darstellt.