Der Kampf gegen das Ende vom Lied

Der Kampf gegen das Ende vom Lied

Chorsterben und Nachwuchssorgen sind bei Chören immer ein (un)beliebtes Thema.

Wer den Begriff „Chorsterben“ googelt, wird sehr schnell fündig. Offenbar beschäftigt dieses Thema flächendeckend alle Gesangvereine. Dabei geht es oft in erster Linie um Nachwuchsförderung, wobei vergessen wird, dass es nicht die Kinder und Jugendlichen sind, die einen Erwachsenenchor retten, sondern dass eben meist die (jungen) Erwachsenen fehlen. Natürlich gibt es viele gute Gründe für Chöre, Kooperationen mit Grundschulen und Kindergärten einzugehen, aber es ist nicht so einfach, Kinder im Grundschulalter im traditionellen Männerchor oder im Frauenchor (Knabensopran) mitsingen zu lassen.
Es muss in erster Linie versucht werden, neue Sängerinnen und Sänger im Erwachsenenalter zu werben!

Rentner haben wir genug

Eine Studie aus den Jahren 2012/13 zur Zeitverwendung, die das Statistische Bundesamt 2016 veröffentlicht hat, legt dar, dass von den über 11.000 Befragten die meiste Freizeit für das Fernsehen oder Ansehen von Videos verwendet wurde.
Im Durchschnitt waren es etwas mehr als 2 Stunden pro Tag. Das Lesen war die zweitbedeutendste Aktivität mit fast vier Stunden in der Woche. Das Musizieren landete nur bei durchschnittlich 21 Min. pro Woche.

Die 25- bis 45-Jährigen waren am wenigsten kulturell aktiv. Nur knapp 18 Stunden in der Woche widmeten sie sich kulturellen Aktivitäten, wohingegen Personen ab 65 Jahren fast 28 Stunden dafür aufbrachten (zur Quelle).
Es ist also empirisch belegt, was alle in Vereinen Aktive schon lange wussten: Es fehlt der Mittelbau; die Sängerinnen und Sänger mit der kräftigen, jungen, gesunden Stimme. Rentner haben wir – Gott sei Dank – nämlich meist genug.

Arbeitswelt vs Freizeitaktivität

In der heutigen, schnelllebigen Zeit fällt es schwer, sich längerfristig einer Sache zu verpflichten. Damit kämpfen nicht nur Chöre, sondern alle Institutionen, die eine längerfristige Bindung nötig machen. Nicht jeder ist bereit, hier klare Prioritäten zu setzen und sich zu verpflichten, einmal in der Woche – und zwar jede Woche! – ein Zeitfenster von 2 Stunden freizuhalten. Von den Wochenendterminen für Auftritte, die z.T. auch noch im besten Urlaubszeitraum liegen, einmal abgesehen. Da stellt sich die Frage nach dem Grund.

Ich bin mir sicher, dass dieser vor allem in der Arbeitswelt zu suchen ist.
Diese hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Es ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel, dass ein Arbeitstag bis in den Abend hinein andauert und kaum einer kann noch pünktlich um 17 Uhr Schluss machen oder langfristige Termine verbindlich zusagen.

Freizeitstress vs. Arbeitsstress

Im Moment wird öffentlich das „Recht auf Heimarbeit“ und flexible Arbeitszeitmodelle diskutiert, dennoch ist es vom Beruf und der Arbeitsstelle abhängig, ob der Feierabendbeginn vorhersehbar ist oder eben nicht. Dies trifft selbstverständlich auch auf berufstätige Frauen zu, noch so eine Sache, die vor einem halben Jahrhundert gänzlich anders war.

Wer in seinem Job stark eingespannt ist und viel Verantwortung tragen muss und vielleicht sogar durch feste Strukturen und Abläufe stark fremdbestimmt ist, der will verständlicherweise wenigstens seine Freizeit entspannt, selbstbestimmt und spontan genießen.

Dazu kommt der Wunsch, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Das ist ein Wunsch, der beide Geschlechter gleichermaßen betrifft. Auch die Väter halten sich die Abende und Wochenenden frei, um für den Nachwuchs da zu sein und sich Erziehungsaufgaben in der Partnerschaft gleichberechtigt zu teilen.

Checkliste abhaken

Lösungsvorschlag: Konkurrenzloses Freizeitangebot schaffen

Die aufgezählten Gründe zeigen, dass es nur zwei Lösungen geben kann, um neue Chorsängerinnen und Chorsänger zu finden: Entweder, man verständigt sich darauf, projektorientiert in einem vorher zeitlich klar begrenzten Zeitraum von z.B. einem halben Jahr auf ein bestimmtes Ziel hin zu proben und danach den Chor wieder für eine Weile ruhen zu lassen oder generell nicht wöchentlich, sondern nur 14-tägig oder gar einmal im Monat ganztägig zu proben, oder das Singen im Chor muss so attraktiv sein, dass es DIE sinnstiftende und entspannende Freizeitaktivität schlechthin ist.
Am besten, konkurrenzlos. Dafür müssen verschiedene Faktoren zusammenspielen:

  • Die Stimmung und Atmosphäre während der Proben muss angenehm und offen sein, der Umgang miteinander wertschätzend und respektvoll. Dies liegt vor allem in der Verantwortung der Chorleiterin oder des Chorleiters, aber natürlich auch bei jedem Einzelnen.
  • Der Zusammenhalt des Chores sollte so überzeugend und fühlbar sein, dass man von außen das Bedürfnis verspürt, unbedingt dazugehören zu wollen. Neue Sängerinnen und Sänger werden herzlich aufgenommen und schnell in die Gemeinschaft integriert. Diese Haltung muss der Chor, der Vorstand und der Chorleiter oder die Chorleiterin leben. Auch die Angehörigen der Aktiven müssen offen und herzlich empfangen werden.
  • Der musikalische Anspruch darf nicht zu niedrig sein. Wer seine Freizeit für sein Hobby „opfert“, der möchte auch davon profitieren, am besten, indem er etwas Neues lernt und sich fortbildet und etwas leistet, auf das er stolz sein kann.
  • Die Literatur muss vielfältig und ansprechend sein. Man könnte meinen, dass durch moderne Popliteratur ein größeres Publikum angesprochen wird. Das liegt zum Teil daran, dass diese Stilrichtung den Hörgewohnheiten von mehr Menschen entspricht. Dennoch ist es meiner Auffassung nach die Aufgabe von Chören, möglichst vielfältige Literatur zu pflegen und zu präsentieren. Traditionelle Volkslieder, Gospel und moderne Popsongs können hier sehr wohl nebeneinander stehen. Dadurch wird die Zielgruppe sogar noch vergrößert.
  • Nicht zuletzt muss das Konzept des Chores klar sein. Ist es ein Chor, der in erster Linie vor heimatlichem Publikum einmal im Jahr beim Dorffest auftritt oder sollen Wettbewerbe besucht werden? Oder soll eher projektorientiert zu immer neuen Themen geprobt werden?
  • Um dem Wunsch der Sängerinnen und Sänger nach Zeit mit der ganzen Familie nachzugeben, sollten auch Angebote für die ganze Familie gemacht werden, z.B. beim Sommerfest oder musikalischen Ausflug.

Wertvolle Öffentlichkeitsarbeit

Nicht zu unterschätzen ist die Außendarstellung. Eine ansprechende und aktuell gehaltene Homepage mit den wichtigsten Informationen und einer niederschwelligen Kontaktmöglichkeit ist dabei ein absolutes Muss.
Potenzielle Sängerinnen und Sänger erreicht man mit Flyern, Postwurfsendungen und Plakaten nur, wenn diese professionell und ansprechend gestaltet sind. In Sachen Sängerwerbung geht trotzdem nichts über den persönlichen Kontakt. Sprechen Sie Neuzugezogene persönlich an und laden Sie sie ein, in die nächste Probe hineinzuschnuppern.
Das positive Image Ihres Chores wird sich auf Dauer gesehen auszahlen!

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2 Gedanken zu „Der Kampf gegen das Ende vom Lied

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