Mit kleinen Maßnahmen lassen sich für Sänger die Chorproben vereinfachen und angenehmer gestalten. Walter Wesendahl gibt Tipps, deren Umsetzung aus eigener Erfahrung erfolgreich waren.
Gefahr erkannt? Gefahr gebannt!
Ja, wenn das für die betroffenen Chöre so einfach wäre. Würden sie doch endlich erkennen, dass ihre schlecht besuchten Konzerte das untrügliche Barometer
- für mittelmäßige bzw. schlechte chorische Leistung,
- für unangepasste Literatur und
- für ein schlechtes Chor- und Konzertmanagement sind.
Mit dieser Erkenntnis wäre schon viel gewonnen. Sie könnte der Beginn des viel zitierten Neuorientierungsprozesses sein. Sicherlich fehlt es den alten Männerchören häufig an Sängern und an Stimmqualität. Es fehlt aber auch häufig an Vorständen und Chorleitern/Innen, die die gebotene Chance nicht erkennen. Die die prekäre Situation ihres Chores nicht erkennen oder nicht den Mut aufbringen, die anstehenden Veränderungen in Angriff zu nehmen.
Dann hört man als Argument: „Uns laufen die Sänger weg, wenn wir etwas verändern“.
Hat sich jemals einer der Verantwortlichen gefragt, welcher Sänger seinem Chor den Rücken dreht, wenn es um die Zukunftssicherung seines Chores geht? Beantworten Sie sich diese Frage einmal ohne Vorbehalte. Die Erfahrung zeigt, dass Sänger den Chor verlassen werden. Vielleicht sind es Sänger, die sowieso aus Altersgründen ausscheiden wollen. Vielleicht sind es auch Sänger, die nur einen Grund suchen. Also, wenn wir das doch wissen, sollten wir uns sofort damit beschäftigen, wie wir mit diesen Sängern umgehen.
Neue Möglichkeiten für mehr Effizienz
Wir leben im digitalen Zeitalter. Wir müssen doch die Vorteile dieser neuen Zeit nutzen.
Warum wehren sich die Verantwortlichen vehement gegen den Einsatz digitaler Unterstützung?
Warum lehnen viele Chorleiter/innen eine Hintergrundmusik als Unterstützung für ihren Chor ab?
Das Internet und YouTube bieten für die Chorproben wertvolle Unterstützungen. Dort archivierte Chorwerke – den Sängern bei den Chorproben vorgespielt – würden gerade den älteren Herren ein besseres Gefühl für den angestrebten Chorklang der einzustudierenden Werke vermitteln.
In einem holländischen Chor, in welchem ich noch aktiv singe, haben wir dies mit Erfolg eingeführt. Die Sänger sind davon begeistert. Auch Fachleute sprechen von einem Nachahmungseffekt. Hier sollte enger Konsens zwischen Chorleiter/in, Vorstand und Musikausschuss stattfinden. Gerade für die älteren Sänger sollte das Chormanagement jede gebotene Hilfestellung nutzen.
Solch angewandte Hilfen verbessern die Effizienz der Chorproben. Folglich auch das chorische Leistungsniveau.
Erleichterungen für den „Choralltag“
Um eine optimale Proben-Effizienz zu erreichen, führt an dem Thema Hilfsmittel und Hilfestellung kein Weg vorbei. Beispiel die wöchentliche Chorprobe. Da sitzen Sänger mit dem Notenblatt dicht vor ihren Augen. Diese Sänger haben Leseprobleme mit der winzigen Schrift der Texte. Warum schaffen wir hier keine Abhilfe?
- Mit einer größeren Gesamtausführung der Notenblätter
- Mit einer Kennzeichnung bzw. Nummerierung der Takte
- Mit einer besonderen Kennzeichnung der jeweiligen Singstimme
- Mit einer altersgerechten Übersichtlichkeit. Das Internet hält Notenschreibprogramme hierfür bereit.
Eine weitere Hilfe wäre die Anschaffung von Notenmappen mit eingeschweißten Klarsichthüllen. Der Notenwart und seine Helfer bestücken – nach Vorgabe des/der Chorleiters/in diese Mappen mit den aktuellen, nummerierten Notenblättern.
- Elastischem Verschlussgummiband
- Mit zwei durchsichtigen Ecktaschen
- Drei elastischen Gummibändern zum Einhängen von Notenblättern
- Wahlweise Prägung "Noten"
- Wahlweise mit Handgurt
- Das ständige Suchen und Herumblättern in den Notenmappen hat ein Ende.
- Es bleibt mehr Zeit für die Chorprobe.
- Es erleichtert die Arbeit des/der Chorleiters/in.
- Den älteren Herrschaften wird es eine große Hilfe sein.
Ein Seniorenchor in den Niederlanden benutzt bei den Chorproben Notenständer. Die Erklärung des Dirigenten:
- Warum sollen die Sänger während der Probe ihre Notenmappen zwei Stunden lang mit angewinkelten Armen in den Händen halten?
- Meine Sänger singen jetzt freier und entspannter.
- Sie sind konzentrierter.
- Sie sitzen gerade auf ihren Stühlen.
- Sie haben einen besseren Blickkontakt zu mir und
- ihre Haltung ist für eine bessere Atmung von Vorteil.
- sehr einfaches Öffnen und Zusammenklappen
- sehr stabil und standfest
- optimal für Kinder
- Haltebügel zum Festklemmen einzelner Notenblätter
- inkl. Tragetasche
Hier gibt es Informationen, wie mit kleinen Veränderungen die Neuorientierung eines Chores bewerkstelligt werden kann. So wird die Gründung von Gremien zur Erledigung bestimmter Aufgaben für den Vorstand Entlastung schaffen.
Zum Beispiel:
- Durch die Schaffung einer Anlaufstelle für telefonische Anfragen.
- Durch die Wahl eines Geburtstags-/Krankenbeauftragten.
- Durch das rechtzeitige Anlernen eines 2. Notenwartes und Hilfen für den Notenwart.
- Durch die Organisation von Patenschaften für neue oder Hilfe bedürftige ältere Sänger.
- Durch eine Anlaufstelle für Öffentlichkeitsarbeit, Fotos und Presse.
- Durch gezielte Mithilfe bei der Organisation von Konzerten.
- Durch die Entwicklung eines Chor-Regelwerkes u.v.m.
Das Chor-Regelwerk
Ein Chor-Regelwerk und ein professionelles Chor-Management sind der Bodensatz für einen erfolgreichen Chor von heute. Wenn ein so geleiteter Chor bei seinem „Herbstkonzert“ einmal einen berühmten Klassiker – perfekt vorgetragen – einfließen lässt, werden die Zuhörer das ganz besonders zu schätzen wissen.
Das Gebot der Stunde lautet also: Bestmögliche, ausgewogene Auswahl des Repertoires und stete chorische Verbesserung des altersgemäßen Leistungsstandes.
Dies würde durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Chorleiter/in und Musikausschuss gegeben sein. Das würde bedeuten: Es werden nur Werke öffentlich vorgetragen, die von allen Sängern in allen vier Stimmen absolut beherrscht werden. Dazu muss jeder Sänger sein Scherflein beitragen, indem er die Texte der Werke für das anstehende Konzert immer wieder zu Hause liest und lernt.
Für einen „gewissenhaften Choristen“ im Prinzip eine Selbstverständlichkeit.
Wie heißt es so schön im Volksmund: Man kann den Esel zwar zum Brunnen führen, kann ihn jedoch nicht zwingen, dass er trinkt. Doch vielleicht hilft ein ständiges Erinnern und Ermahnen bei den Chorproben bis es selbst der Letzte verstanden hat.
Vom Aachener Musikprofessor Fritz ter Wey stammt die Aussage:
„Ein Chor singt erst dann gut, (…) wenn alle Sänger den Text verinnerlicht haben. Textsicherheit ist daher bei jedem Chor die halbe Miete.“
Wenn früher ein Werk nach zwei oder drei Proben saß, benötigen die Chorleiter/Innen heute vier bis fünf und mehr Chorproben für das gleiche Stück. Für einen älteren Sänger ist es deshalb unabdingbar, den Text zu Hause zu lesen und zu lernen.
Ein motivierter Chor bringt neue Sänger
Ein so motivierter Chor wird Erfolg haben. Andere Chöre werden auf den Chor aufmerksam, man spricht über seine Leistung. Sänger anderer Chöre interessieren sich für diesen Chor.
Es werden gute Sänger zu diesem Chor finden, weil es für gute Sänger erstrebenswert ist, in einem gut geführten, leistungsorientierten Chor zu singen. Ich denke hier vor allem an die 30/40-jährigen Sänger.
Sehen wir uns doch einmal im Umkreis von 20 km um:
Wie viele Chöre gibt es dort noch?
Wie sieht die Zukunft dieser Chöre aus?
Wann gibt der nächste Chor auf?
Was machen die guten Sänger, die 30/40-jährigen solcher Chöre?
Die Antwort liegt auf der Hand. Sie werden sich einen Chor suchen, wo sie gefordert werden und noch viele Jahre ihrem Hobby nachkommen können. Und welcher Chor wird das wohl sein? Der Chorverband Nordrhein-Westfalen schreibt in „Chorlive“, dass solche Sänger bis zu 20 km Autofahrt in Kauf nehmen, um in einem „guten Chor“ zu singen.
Das im zweiten Teil dieser Reihe genannte Beispiel des Männerchores aus Seelscheid bekräftigte meine Überlegungen und die ständige Suche nach einer Lösung zur Erhaltung alternder Chöre.
Wie schon gesagt, ein Allheilmittel wird es wohl kaum geben, da junge Sänger ihre eigenen Interessen haben. Daher sollen meine Gedanken und Ausführungen zu diesem Thema lediglich ein Anstoß, ein Weckruf sein. Meine Ausführungen erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Würden sie bei den betroffenen Chören etwas bewegen, hätten sie ihr Ziel bereits erfüllt.
Einige Anmerkungen zum Schluss
Das Wichtigste bei der Neuorientierung ist die Einstimmigkeit innerhalb des Vorstandes und der feste Wille etwas zu ändern. Wenn dann von der Neuorientierung beseelte Sänger, ein enthusiastisches Gremium und ein Musikausschuss den Vorstand mit Ideen überschütten, dann wissen sie, die Erneuerung ihres Chores ist in vollem Gange.
Doch, bei allem Enthusiasmus, es wird auch Sänger geben, die an alledem nicht interessiert sind. Die nicht bereit sind, das Fortbestehen des Chores zu unterstützen. Diese Sänger werden den Chor verlassen und es wird sich nicht vermeiden lassen. Aber keine Sorge, das ist kein Weltuntergang. Es werden andere Sänger zu Ihrem Chor finden, die begeistert von unseren Unternehmungen sind. Dazu gibt es unzählige Beispiele.
Noch zwei Anmerkungen:
1. Es ist empfehlenswert, sich zunächst eingehend mit der bereits 1939 von Alex Osborn erfundenen Brainstorm-Methode, einer Kreativtechnik zur Ideen-Findung zu beschäftigen. Denken Sie bei Ihrem Vorhaben immer daran, die absurdeste Idee ist wertvoller als jegliche, gut gemeinte Kritik.
2. Ich wollte mit meinen Ausführungen niemanden angreifen oder zu nahe treten. Ich bin mir jedoch bewusst, dass ein Spiegel-Vorhalten schmerzen kann.
Zum Abschluss möchte ich von einem kleinen Erlebnis berichten:
Im letzten Jahr besuchte ich ein Frühjahrskonzert. Zu Gast: „Der beste holländische Seniorenchor 2016“.
Dieser Chor verlangte meine ganze Aufmerksamkeit. Die Sänger/Innen betraten von beiden Seiten gleichzeitig die Bühne. Die erste Reihe kam von der linken Seite und ging bis zur rechten Bühnenseite. Die zweite Reihe kam von rechts und ging bis zur linken Seite. So auch die dritte und vierte Reihe. Ein Ordner sorgte alsdann unauffällig für die Ausrichtung der Sänger/Innen.
Die Bühnenpräsenz – einfach vorbildlich! Der Chorklang überraschte dann nicht mehr. Er zeugte ebenfalls von Konzentration und Aufmerksamkeit und Begeisterung der Akteure, einfach grandios. Bis auf einen Vortrag hin wurde alles auswendig gesungen, was ebenfalls Eindruck hinterließ. Als dann ein gefühlvoll vorgetragenes „Tjebje pajom“ erklang, dachte ich, hier könnte vielleicht im nächsten Jahr ein deutscher Männerchor stehen, der das Publikum in Erstaunen versetzt.
Mich würde es sehr stolz machen!
In diesem Sinne, packt es an, noch ist es nicht zu spät!
Mit freundlichem Sängergruß
Ihr Walter Wesendahl
Waldfeucht-Haaren, im März 2018
Guten Tag Herr Wesendahl,
vielen Dank für Ihren interessanten und mich in meinen Überlegungen bestätigenden Bericht zum Thema „Männerchor erhalten“. Ich bin ebenfalls daran mir Gedanken über unseren Verein MGV Harmonie Büchenau 1919 e.V. -hier unsere Abteilung Männerchor- auch über das nahende Jubiläum hinaus am „LEBEN“ zu erhalten.Viele Ihrer Einschätzungen kommen mir (zumindest in Sachen Männerchor) leider nicht fremd vor.
Aktuell läuft ein Männerchor Projektchor-Projekt, welches über den Erwartungen liegend gut gestartet ist, allerdings hinkt der interne Gedankenwandel sowie motivierte Sänger meiner Meinung nach wie beschrieben hinterher.
Hieran arbeite ich zur Zeit :-), hoffentlich erfolgreich.
Beste Grüße aus Büchenau
Marcel Holzer
Guten Morgen werter Marcel Holzer!
Nun sind fast Jahre vergangen und es würde mich interessieren, wie weit Ihre „Neu-Ausrichtungs-Gedanken“ gediehen sind?
Ich sprach in einem meiner Artikel von den vielen kleinen Schritten bei der Neu-Ausrichtung eines Chores, von einer “ Never Ending Story“.
Jeden noch so kleinen Schritt in Richtung Zukunfts-Sicherung , dürfen Sie als einen großen Erfolg werten.
Den ersten und bereits größten Erfolg in Sachen Zukunfts-Sicherung Ihres Chores, haben Sie erreicht, wenn Sie es geschafft haben, die Verantwortlichen, sprich den Vorstamd und vielleicht noch einige „aktive“ Sänger für Ihr Zukunftsorientiertes Konzept zu begeistern.
„Lebe begeistert und gewinne“ lautet der Titel eines Buches von Frank Betcher, was ich empfehlen kann zu lesen.
Ich wünsche Ihnen den erhofften Erfolg und stehe Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Verfügung.
Mit hoffnungsvollem Sängergruß
Walter Wesendahl