Zeiten ändern sich. Von außen betrachtet, kann aber der Eindruck entstehen, Chöre haben keinen Mut und Willen zur Veränderung. „Das haben wir immer so gemacht!“. Genau hier liegt das Problem.
In der „Chor live“-Ausgabe vom Februar 2017 berichten namhafte Chorvorstände und Chorleiter/innen über die derzeitige Situation ihrer Männerchöre. Unter dem Titel „Die Notenmappen nicht zuklappen, Mutmacher für Männerchöre“ resümiert Klaus Hebekeuser, Vorsitzender des MGV Seelscheid:
„Unseren Erfolg haben wir der engagierten und der nahezu professionellen Arbeit im Vorstand, den innerhalb unseres Chores gewählten Ausschüssen für spezielle Themen, der Unterstützung externer Berater, sowie dem Fachverstand und Mitwirken aller Sänger zu verdanken.
Mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket haben wir den Umbruch geschafft. Unsere Konzerte sind wieder ausverkauft. Es ist wieder etwas Besonderes, Mitglied unseres Chores zu sein. Wir haben rechtzeitig erkannt, dass wir für unseren 180 Jahre alten Chor etwas verändern mussten, wenn unser Chor weiterhin Bestand haben sollte. Dass die gesamte Chorgemeinschaft, also jeder einzelne Sänger, diese Veränderungen mittragen musste. Es gehörte eine große Portion Überzeugungskraft und vor allem ein äußerst vorsichtiges und gefühlvolles Vorgehen dazu.“
„Ab jetzt muss ein Umdenken stattfinden. Man darf nicht mehr am IST-Zustand festhalten, nur weil es viele Jahre so funktionierte. Das betrifft sowohl die Zusammensetzung der Führungsstruktur und -kultur, als auch das Repertoire, die Programmplanung und -gestaltung, sowie die Ausführung von Konzerten.“ So der Pressereferent des Chorverbandes.
Neue Anreize für Publikum und Chor schaffen
Der Männerchor von heute braucht neue Anreize. Eine zeitgemäße Vereinsphilosophie und eine Zukunftsperpektive. Eine Führung wie in einem kleinen Unternehmen. Wir müssen darüber nachdenken, ob alle Aufgaben, die Vorstand und Chor derzeit traditionell wahrnehmen, noch zeitgemäß sind.
Konzerte zu feststehenden Daten. Immer das Gleiche unter dem selben Motto: „Herbst- oder Frühlingskonzert des MGV 1869“, vielleicht noch unter Mitwirkung des ortsansässigen Musikvereins. Dazu eine laienhafte, dilettantische Moderation.
Mal ganz ehrlich? Damit reissen wir doch keinen Zuhörer von seiner Couch. Wer wundert sich da noch, wenn außer den eigenen Angehörigen nur wenige Zuschauer Interesse an solchen Konzerten zeigen? Frühlings-, Herbst- oder Weihnachtskonzerte sind für einen Chor wichtig.
Aber jeder öffentliche Auftritt, jedes Konzert muss für unser Publikum zu einem Erlebnis werden. Diese Aufgabe wird nur noch von wenigen Seniorenchören alleine bewältigt. Die anderen brauchen Unterstützung. Berühmte Sänger oder bekannte Ensembles, die Ihre Konzerte aufwerten.
Mit anderen Worten: Der Chor eröffnet mit zwei oder drei perfekt einstudierten Werken das Konzert. Die verpflichteten Profis übernehmen das restliche Programm. So garantieren wir zum Beispiel unseren Besuchern einen unvergesslichen Konzertabend. Wenn dann der Chor seine Besucher in einer liebevoll gestalteten Cafeteria, zu einem Kaffee und kleinem Gebäck erwartet, dann darf die Eintrittskarte auch einmal 20,– Euro und mehr kosten.
Dann wird der Chor Sponsoren finden, die das Bemühen um die Erhaltung des kulturellen Lebens in ihrer Stadt wertschätzen und finanziell unterstützen. Einfach mal den Mut finden, größer zu denken!
Die Zukunft des Chores liegt in den eigenen Händen
An der Neuorientierung des Chores geht kein Weg vorbei, ein Weg der aus unzähligen kleinen Schritten besteht. Es ist ein nie endender Prozess. Ein erster Schritt könnte zum Beispiel ein Gespräch mit Vorständen gleichgesinnter Chöre sein. Das Beispiel vom Seelscheider Chor wäre vielleicht eine erste Anlaufstelle. Das Internet bietet diesbezüglich unerschöpfliche Hilfestellungen und auch Bücher gibt es dazu.
Nehmen sie die Hilfe von Fachleuten von Ihrem Chorverband in Anspruch. Bilden Sie Gremien, welche sich ausschließlich mit der Neuausrichtung des Chores beschäftigen.
Erfolgreiche Chöre haben mit der Schaffung von Gremien, die mit Hilfe der Brainstorm-Methode Ideen zur Erneuerung des Chorlebens entwickelten, äußerst positive Erfahrungen gemacht. Zur Neuorientierung gehört auch das Thema: Altersgerechte Literatur. Bei der Auswahl der Literatur sollten Chorleiter/innen und Musikausschuss tunlichst gemeinsam abwägen, welche Werke der Chorgemeinschaft, dem Durchschnittsalter entsprechend, gerecht werden.
Getragene, ruhige und harmonische Kompositionen sind erwiesenermaßen für die älteren Choristen die besseren Chorwerke.
Interessant fand ich einen Artikel des Chorverbands Nordrhein-Westfalen, über den Umgang mit den Sängern und Sängerinnen des älteren Semesters. Der CVNRW bietet mittlerweile für interessierte Chorleiter/innen spezielle Seminare für den Umgang mit Seniorenchören an. „Meisterchorsingen“ gehörten vielleicht früher zum jährlichen Programm und waren die Glanzpunkte des Chores. Sie sind Vergangenheit.
Lieber ein einfaches Lied gut einstudiert, perfekt und mit Freude vorgetragen, als ein anspruchsvolles Chorwerk mittelmäßig oder gar schlecht. Wir singen für unser Publikum und dieses Publikum ist der Gradmesser für unseren Erfolg. Es ist nicht der Schwierigkeitsgrad unserer Vorträge.
Das Publikum ändert sich, warum der Chor nicht?
Vor 30 bis 40 Jahren war ein Chorkonzert für den Besucher etwas Besonderes.
Die Kleidung der Konzertbesucher: Festliches Abendkleid und Smoking. Das Programm der Chöre: Berühmte Arien und Ausschnitte der Klassiker aus Opern und Operetten.
Für die heutige Generation ist der Besuch eines Konzertes eher etwas alltägliches.
Die Kleidung: Immer mehr von T-Shirts, Basecaps, karierten Hemden und Jeans geprägt. Das sind zwar nur Äußerlichkeiten. Aber auch diese Äußerlichkeiten dokumentieren den Wandel der Zeit.
Das gilt auch für den musikalischen Geschmack. In der leichten Unterhaltungsmusik, die uns rund um die Uhr berieselt, spiegelt sich die heutige Generation. Mit diesen Erkenntnissen den Spagat zu schaffen, der den älteren wie auch den jüngeren Besuchern unserer Konzerte gerecht wird, erfordert ein besonderes Fingerspitzengefühl.
Konzertbesuche erfolgreicher Chöre und Kontaktpflege zu solchen Chören, könnten bereits eine Hilfe sein. „Uns stirbt so langsam unser Publikum weg“, sagte einmal ein älterer Sänger zu mir und fügte dann resignierend hinzu: „Das wird denn wohl unser letztes Konzert gewesen sein“.
Einige Tage lang beschäftigte mich diese Aussage. Welche Ohnmacht steckte darin? Welches wehrlose „sich ergeben“? Wieder einer der Chöre, die den Wandel unserer Zeit nicht erkannt haben? Kulturelle Traditionen zu pflegen, ist eine Seite der Medaille. Die steten Veränderungen unserer Zeit zu erkennen und mit der Zeit zu gehen, die andere Seite. Gewiss, ein schmaler Grad, aber auch eine Option?
Wie bereits gesagt, das Internet bietet alle erdenklichen Hilfen. Die Chorverbände bieten Unterstützung in Form von Coaches und unzähligen Veröffentlichungen.
Doch oft werden diese Hilfen nicht in Anspruch genommen – Warum? Bei den betroffenen Chören muss doch endlich ein Umdenken stattfinden.
Im dritten und letzten Teil dieser Artikelreihe gibt Walter Wesendahl Tipps zur optimaleren Verteilung der anfallenden Arbeiten und wie sich Chorproben insgesamt effektiver gestalten lassen.
Volle Unterstützung des gesagten mit einer kleinen Ergänzung;
Wer es schafft, seinem Tun Bedeutung zu verleihen, wird auf den Erfolg nicht lange warten müssen!
Hallo Walter, dieser zweite Teil bestärkt meine Gedanken. Doch um solche Neuerungen durchzuführen, bedarf es Mut und Durchhaltevermögen. Aber ohne Fleiss kein Preis.?