Rhythmusarbeit im Chor

Rhythmusarbeit im Chor

Groove oder nicht Groove? Das ist hier die Frage. Insbesondere im populären Chorrepertoire – keinesfalls aber nur dort – ist der Groove eines Stückes entscheidend, ob die Musik das Publikum mitreißt oder nicht.

Deswegen möchte ich mich heute dem Thema „Rhythmusarbeit“ widmen. Rhythmus ist für mich eine durch und durch körperliche Angelegenheit. Jedes einzelne Chormitglied ist gefordert und der aktivste „Chorleiterflummi“ – zu denen ich wohl auch gehöre – nützt nichts, wenn der Chor nicht aus sich heraus zusammen schwingt.

Rhythmus ist alles

Wir sind voll von Rhythmen. Unser Herzschlag, der Atem, das Geräusch unserer Füße auf dem Boden, wenn wir gehen – niemals sind wir ohne Rhythmus. Musik lebt vom schwingenden Wechsel von Anspannung und Entspannung. Rhythmisches Zusammenfinden ist elementar, damit Musik funktionieren kann.
Im Chor fällt mir immer wieder auf, dass viele Unsicherheiten und Unklarheiten rhythmischer Art sind. Kommt ein Chor rhythmisch zusammen, erhöht sich schlagartig die Sicherheit der Gruppe. Weiß jedes Chormitglied wann es dran ist, singt es sich beherzter los, ist es leichter Verantwortung zu übernehmen.
Tonale Unsicherheiten erledigen sich schneller, wenn der Rhythmus einer Stelle deutlicher wird. Rhythmus schafft insgesamt Orientierung.

Rhytmusarbeit im Chor

Die Orientierung verbessern

Rhythmische Sicherheit ermöglicht den Chorsängern, sich direkt auf einander zu beziehen. Egal ob der Chor unisono oder in versetzten Rhythmen singt, sobald die Menschen merken, wie sich Stimmen rhythmisch zueinander ordnen, findet mehr Kontakt im Chor statt.

Meist fällt es dann auch leichter, sich harmonisch und melodisch aufeinander zu beziehen. Die einzelnen Stimmen können sich zu einem Ganzen zusammenfinden. Der Chorklang und insgesamt die Lebendigkeit des ganzen Stückes profitiert.
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang das gleichzeitige Empfinden von Schwerpunkten und Betonungen. Diese dienen als Ankerpunkte und Möglichkeiten sich immer wieder einzufädeln, wenn die Orientierung mal verloren geht.
Deutliche Schwerpunkte bilden auch die Grundlage für jede Art von Dynamik und Schwingen. Besonders auch in lyrischen Stücken ist ein klarer Zielpunkt für die gemeinsame Phrasierung wichtig.

Groove passiert im Körper: Eine Beispielübung

Damit wirklich der ganze Chor mitziehen kann, übe ich mit meinen Chören sehr körperlich. Die Basisübung geht wie folgt:

Die Füße laufend abwechselnd rechts und links auf eins und drei. Dabei kann man laut oder leise bis vier zählen.
Wichtig ist es, dass diese rhythmische Ebene immer stabil bleibt.

Dazu kommen die Hände. Sie klatschen auf die Achtel. Gemeint ist nicht normales Klatschen, sondern eher ein rhythmisches An-einander-Abklatschen der Hände, wie als wolle man sich beim Pizzabacken das Mehl von den Händen klopfen. Diese Bewegung ist relativ schnell und locker möglich. Ist diese Übung gut verinnerlicht – was je nach Begabung, Altersstruktur und Neugier der Chormitglieder durchaus lange dauern kann – kann man Betonungen einbauen oder ganze Passagen rhythmisch darüber sprechen oder singen.

Als Zwischenstufe eignet sich auch das Laufen ohne die Hände oder ein gleichzeitiges Schnippsen auf zwei und vier. Verschiedene rhythmische Ebenen laufen parallel und der ganze Körper ist involviert.
Alleiniges Wippen mit dem Fuß oder reines Klatschen oder sprechen von Rhythmen hat seine Berechtigung, ist aber bei Weitem nicht so tiefenwirksam.

Der Klassiker: Schnippen mit dem Finger

Spielerisch üben

Das gemeinsame rhythmische Laufen kann auch die Basis bilden für weitere Rhythmusspiele und -übungen. Aus einem „Call & Response“ mit kurzen Passagen, gesungen oder gesprochen, kann ein komplexes Klang-Live-Arrangement entstehen.
Ein Teil des Chores bleibt bei einem Pattern, eine zweite Gruppe steigt mit einem zweiten Pattern ein usw. So können rhythmische Bezüge spielerisch erarbeitet werden.

Stimmenübergreifendes Arbeiten hilft das Gesamtverständnis zu vertiefen. Wenn der Bass plötzlich das Pattern des Sopran singt und dabei merkt, wie es sich mit seinem eigenen – das vielleicht gerade der Alt übernommen hat – verzahnt, öffnen sich seine Ohren und die Herren werden sich später mit ihrem eigenen Rhythmus anders im Gesamtklang verorten. Unisono Passagen können als „Breaks“ eingebaut werden und vertiefen auch hier das Verständnis von „Achso … hier sind wir alle zusammen!“. Dadurch entsteht wieder dynamische Klarheit und musikalisches Strukturempfinden.

Randbemerkung: Was ist ein Pattern?

Das Pattern bezeichnet im Sprachgebrauch von Musikern und Komponisten eine harmonisch oder rhythmisch wiederkehrende Struktur. Der Begriff bezieht sich vornehmlich auf perkussive Elemente oder Schlagzeug und wird zum Teil aus diesem Kontext in andere, allgemeinere Bedeutungen überführt. (Wikepedia)

Sicherheit durch Wiederholung

Als Alternative zum „Call & Response“ mag ich auch das Prinzip „Rhythmuspost“. Alle laufen im Kreis gemeinsam mit den Füßen – im Notfall kann man sich hier immer wieder einfädeln. Ein rhythmisches oder rhythmisch-melodisches Pattern wird wie bei der „Stillen Post“ auf die Reise geschickt. Das geschieht aber nicht flüsternd, sondern entspannt hörbar. Das Pattern pflanzt sich durch den Kreis fort, ein zweites kommt hinzu und ergänzt es usw.

Viel Freude macht es auch, eine Stelle des Stücks auf seine Konsonanten, also das, was im Endeffekt den Rhythmus ausmacht, zu reduzieren (z.B. „Du bist da“ als „d bst d“). So entsteht Stimm-Percussion, die hinterher, wenn die Konsonanten wieder dazukommen, für Klarheit in der Phrasierung sorgt.

Als sinnvoll hat sich auf jeden Fall das Üben von kurzen Abschnitten gezeigt. Die größte Sicherheit entsteht, wenn sich Rhythmen nach dem folgenden Prinzip aufbauen Eine Stimme  beginnt, singt ein bis vier Takte immer wieder im Kreis, nach und nach steigen die anderen Stimmen ein, bis es wirklich rund läuft usw.  Das kann zunächst nur im Sprechen, später dann mit den Tönen passieren und sich so immer mehr verzahnen.

Lockerer singen mit dem richtigen Rhythmus

Rhythmus selber in die Hand nehmen

Der Vorteil dieser körperorientierten Rhythmusarbeit im Chor ist vor allem, dass die Chormitglieder lernen, selber Verantwortung zu übernehmen.
Wenn ich weiß, wann ich dran bin – nicht nur im Kopf, sondern auch körperlich-musikalisch-empfindend – kann ich mutiger drauflossingen und bin nicht darauf angewiesen, dass der Chorleiter mir einen Einsatz gibt.
Wie in einer Big Band kann der Dirigent sich auf die wichtigen Dinge konzentrieren: Dynamik einfordern, Akzente mitbetonen und bei kniffligen Stellen eine Zusatzorientierung bieten.
Fühlt jedes Chormitglied innerlich den Puls des Stückes selbstständig, kann sich diese Klarheit im Ganzen fortsetzen. Durch das gemeinsame Singen werden die Konturen des Stückes nicht schwammiger, sondern klarer und dadurch kraftvoller.
Mehr eigene Verantwortung führt zu mehr innerer Wachheit und Aufmerksamkeit. Die körperliche Komponente der Rhythmusarbeit wirkt sich zudem positiv auf die Lebendigkeit des ganzen Chores aus, steigert die Freude am Tun und die Lust am gemeinsamen Klingen und Schwingen.

Noch mehr Gedanken von Anna Stijohann zum Thema Rhythmus findet ihr bei stimmsinn.de.

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2 Gedanken zu „Rhythmusarbeit im Chor

    1. Vielen Dank für die positive Rückmeldung! Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Freude beim Entdecken der Chor-Welt. Herzlichst, Anna Stijohann

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